Wege der Transformation: Die Gemeinwohl-Ökonomie
Eine sozial-ökologische Transformation unserer wachstums- und profitorientierten Wirtschaft ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit und zur Eindämmung der Klimakrise dringend notwendig. In unserer Reihe Wege der Transformation wollen wir euch – in Interviews und Gastbeiträgen – auf die vielfältigen Wege unserer Mitgliedsunternehmen hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft mitnehmen.
Martina Dietrich ist mit ihrem Unternehmen sinnovation – nachhaltig entwickeln seit 2019 Mitglied bei dasselbe in grün. Sie ist langjährige Beraterin für Organisations- und Personalentwicklung, systemischer Coach und Teil der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung. Dabei unterstützt sie Unternehmen bei der Erstellung von Gemeinwohl-Bilanzen. Im Interview erzählt sie uns was die Gemeinwohl-Ökonomie zu einer sozial-ökologischen Transformation unserer Gesellschaft beitragen kann.
Martina, was bedeutet die sozial-ökologische Transformation für dich?
Wir brauchen die sozial-ökologische Transformation und als einen der wichtigsten Hebel dafür eine ethische Wirtschaft, um das Überleben der Menschheit und unseres Planeten zu retten. Und wir haben dafür leider nicht mehr viel Zeit! Um meinen Beitrag dafür zu leisten engagiere ich mich in der Gemeinwohl-Ökonomie!
Was ist die Gemeinwohl-Ökonomie und was kann sie zur Transformation unserer Wirtschaft beitragen?
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine internationale Bewegung mit dem Ziel ein ethisches Wirtschaftsmodell zu etablieren. Das Gemeinwohl – also das Wohl von Mensch und Umwelt – soll zum obersten Ziel des Wirtschaftens werden. Hierfür muss die Wirtschaft als Teil der Gesellschaft verstanden werden, die sich gesellschaftlich akzeptierten und in nahezu allen demokratischen Verfassungen verankerten Grundwerten verpflichtet fühlt und sich auch daran messen lassen muss. Werten wie: Menschenwürde, Solidarität & Gerechtigkeit, Transparenz & Mitbestimmung sowie ökologische Nachhaltigkeit.
Aktuell sind Unternehmen zwar verpflichtet eine Finanzbilanz zu erstellen, die auch geprüft wird. Hier geht es aber rein um finanzielle Daten. Das einzige Erfolgskriterium ist der erwirtschaftete Profit. Es wird nicht überprüft, auf welche Art und Weise – mit welchen Prozessen, Lieferketten oder internationalen Arbeitsbedingungen – dieser Gewinn erwirtschaftet wurde. Somit dürfen Unternehmen mit gesellschaftlicher Akzeptanz außerhalb gesellschaftlicher Normen agieren. Aktuelle Beispiele sind die ausländischen Arbeiter*innen mit Werksverträgen in der Fleischindustrie oder in der industriellen Landwirtschaft.
Dementgegen braucht es eine Verpflichtung aller Unternehmen, wertorientiert zu arbeiten sowie eine entsprechende Berichtspflicht, mit der nachgewiesen wird wie gemeinwohl-orientiert Unternehmen wirtschaften. Als entscheidender Schritt sollten dann diejenigen Unternehmen, die in ihrer Arbeit nachweisbar das Gemeinwohl fördern, Vorteile erhalten. Zum Beispiel durch staatliche Subventionen, verringerte Mehrwertsteuersätze oder günstigere Kredite. Aktuell ist es ja leider im Gegensatz so, dass Unternehmen, die auf ökologischen Einkauf, faire Arbeitsbedingungen und Lieferketten achten, vor allem finanzielle Nachteile haben.
Es gibt aktuell schon circa 900 Pionier-GWÖ-Unternehmen, die die sogenannte Gemeinwohl-Bilanz freiwillig und aus Überzeugung durchführen. Diese bereiten den Weg für eine ethische Wirtschaft der Zukunft!
Für wen ist die GWÖ gedacht? Und wie kann sie konventionelle, aber auch bereits nachhaltig wirtschaftende Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen?
Die Gemeinwohl-Ökonomie als Idee hat das gute Leben für alle zum Ziel. Deshalb ist die GWÖ für alle! Über das Instrument der Gemeinwohl-Bilanz hinaus wird von vielen Unterstützer*innen unterschiedlichste Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu ethischem Wirtschaften, aber auch demokratischeren Entscheidungsstrukturen angeboten. Es gibt zum Beispiel auch einen Individual-Gemeinwohl-Check für Privatpersonen. Wer lieber in Gruppen arbeitet, kann mit dem Angebot „Enkeltauglich leben“ seinen/ihren persönlichen Lebensstil spielerisch auf den Prüfstand stellen.
Das Instrument der Gemeinwohl-Bilanz – als der zentrale Baustein der GWÖ – ist für alle Unternehmen oder Organisationen gedacht. Ein-Personen-Unternehmen, Handwerksbetriebe bis hin zu internationalen Mittelständlern sind schon GWÖ-Pioniere. Es gibt sogar ganze Städte und Gemeinden, die eine GWÖ-Bilanz erstellt haben. Die ernsthafte Beschäftigung mit den 20 Themenfeldern der GWÖ Bilanz (4 Werte x 5 Berührungsgruppen) wirkt im Unternehmen nach innen als Katalysator für eine nachhaltige Organisationsentwicklung. Die Idee ist, dass daraus ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess wird, da die Bilanz alle zwei Jahre aktualisiert wird und so Unternehmen immer stärker sozial-ökologisch und ethisch arbeiten.
Wie sieht das konkret im Unternehmen aus? Gibt es Unterstützung bei der Erstellung einer Gemeinwohl- Bilanz?
Die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz ist idealerweise als Prozess mit mehreren Workshops unter Mitwirkung der Beschäftigten organisiert. Hierbei untersucht das Unternehmen oder die Organisation selbst, wie die vier GWÖ-Werte in Bezug auf die wichtigsten Berührungsgruppen umgesetzt werden. Wie sieht es zum Beispiel mit Solidarität und Gerechtigkeit in der Lieferkette aus? Wie steht es mit der Menschenwürde am Arbeitsplatz? Und welche Mitbestimmungsmöglichkeiten haben Kund*innen oder das gesellschaftliche Umfeld? Wie wird auf ökologische Nachhaltigkeit bei Einkauf und Beschaffung geachtet? Es gibt eine Bewertungsskala für alle 20 Themenfelder, sodass als Ergebnis eine entsprechende Punktzahl erarbeitet wird.
Leitfragen und Kriterien für die Bewertung sind als Open-Source Material frei auf der Ecogood-Website verfügbar. Das heißt, Unternehmen können sich alleine auf den Weg machen und einen entsprechenden Bilanz-Bericht schreiben. Es gibt jedoch auch Unterstützung durch zertifizierte Gemeinwohl-Berater*innen, die häufig in Anspruch genommen wird. Diese unterstützen den Prozess und können Know-how aus den 20 Themenfeldern, sowie Best Practices aus anderen Unternehmen beisteuern.
Zum formalen Abschluss muss der Bericht ein GWÖ-Audit durchlaufen. Das ist die endgültige Bewertung für das offizielle Testat, mit dem der Titel Gemeinwohl-bilanzierendes Unternehmen vergeben wird. Diese Prüfung wird durch GWÖ-Auditor*innen vorgenommen. Sie kalibrieren die Ergebnisse über die diversen Branchen und Unternehmensgrößen hinweg und sorgen für ein objektiviertes, faires Ergebnis, das am Ende allen Kund*innen, Lieferant*innen und der Gesellschaft transparent Aufschluss über das bilanzierende Unternehmen geben soll. Denn alle GWÖ-Berichte sind zur Transparenz verpflichtend. Sie werden sowohl auf der Webseite des Unternehmens, als auch auf der Ecogood-Website veröffentlicht.
Wie hat die Gemeinwohl-Ökonomie unsere Gesellschaft im Jahr 2050 verändert?
Alle Menschen arbeiten zu fairen gerechten Löhnen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen für Unternehmen und andere Organisationen, die ethisch wirtschaften und dem Suffizienzprinzip verpflichtet sind. Sie erbringen und produzieren also nur so viel Leistungen, wie wir es für „ein gutes Leben für alle“ auf diesem Planeten wirklich brauchen, ohne unsere natürlichen Ressourcen zu zerstören.
Daher müssen wir alle weniger erwerbsorientiert arbeiten und haben mehr Zeit für andere sinnstiftende Beschäftigungen. Unsere demokratischen Entscheidungsstrukturen haben sich weiterentwickelt hin zu einer echten Mitbestimmung und viele von uns bringen sich in die Weiterentwicklung eines wahrhaft demokratischen Zusammenlebens ein…
Ein ausführliches Audio-Interview mit Martina Dietrich über die Gemeinwohl-Ökonomie gibt es beim Weltverbesserer-Podcast zu hören. Alle Informationen zu Martina Dietrich und ihrer Arbeit findest du unter www.sinnovation.koeln. Mehr zur Gemeinwohl-Ökonomie gibt es hier: www.ecogood.org.