Die Nachhaltigkeit hat ein Elitenproblem
Sind wir ehrlich: Nachhaltigkeit in jeder Couleur ist sinnvoll und dringlich. Nun ja, in fast jeder. Denn schließlich kann man auch sehr nachhaltig unnachhaltig handeln. Sonst aber gilt das Prinzip der Notwendigkeit. Doch genau diese Notwendigkeit sorgt auch für einen unangenehmen Nebeneffekt: Druck und Zwang. All die Nachrichten über Klimawandel, Auffinden von Mikroplastik in Meersalz und Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiter in Bangladesch führen unterbewusst zu einer negativen Besetzung der Thematik. Der erhobene Zeigefinger als Mahnmal des schlechten Gewissens erinnert uns ständig daran, dass wir dies und das tun müssen, weil alles sonst noch schlimmer wird – und macht das Ganze somit in etwa so attraktiv wie die anstehende Steuererklärung. Doch das ist nicht der einzige Grund.
Die Nachhaltigkeit kommt wissenschaftlich daher. Um den Klimawandel zu verstehen oder geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut zu überblicken, muss man (schon wieder) Wissen aneignen und Interesse mitbringen. Nachhaltigkeit ist ein komplexes, vielschichtiges Thema und benötigt aktive Bereitschaft. Aus diesem Grund steht ein Großteil der Gesellschaft immer noch am Fuße des metaphorischen Nachhaltigkeitsberges und widmet sich lieber anderen, spannenderen Dingen. Weil die Dimension nicht überschaubar ist und Wanderwege zu anspruchsvoll erscheinen. Übrig bleiben die Intellektuellen, die gerade an einer Steilwand hängen und noch nicht einmal die Aussicht genießen können. Die Nachhaltigkeit hat ein Elitenproblem. Auch wegen ihrer finanziellen Konsequenzen.
Die Herstellung eines ökologischen und sozialverträglichen Produktes hat seinen Preis und kann im Wettkampf um das günstigste Angebot nicht mit der Masse mit-halten. Gleiches gilt für Dienstleistungen. Denn nachhaltige Prozesse erfordern kostenintensivere Strukturen und zahlen sich erst langsfristig aus. Die Verlockung, auf die scheinbar günstigere Alternative zu schielen, ist groß. Auch wenn es einen spürbaren Trend der Akzeptanz gegenüber Mehrkosten für ganzheitliche Angebote gibt, entscheiden sich immer noch viel zu viele dagegen. Und das nicht nur, weil sich nicht jeder einen regelmäßgen Einkauf im Biosupermarkt oder den Bezug von Öko-strom leisten kann. Viel zu häufig führt der relative Preis¹ zur Wahl konventioneller Angebote. Wir wollen schließlich nicht zu viel ausgeben und können das Geld an anderer Stelle gut gebrauchen.
Dieses weitverbreitete, wenn auch eindimensionale Verhalten wird zum Einen von unserer priviligierten Stellung als westliche Wohlstandsgesellschaft getragen, die mit den akuten Auswirkungen ihres Lebenstiles nicht in Berührung kommt. Aber auch hier liegt es wieder an der Komplexität. Zwar würde die Mehrheit wohl mit etwas Nachdenken zustimmen, dass eine Hose für 7,99 Euro, alleine unter sozialen Aspekten, eigentlich nicht möglich ist. Die tatsächlichen Zusammenhänge zwischen Bezugsquellen, Lieferketten und Verfügbarkeit im Geschäft erfordern wiederum den Willen zur Informationsbeschaffung. Eine eher unattraktive Aufgabe, wenn nur einen Fingertip entfernt Facebook & Co. mit unterhaltsamer wie kurzweiliger Beschäftigung winken – und wir uns am Ende klammheimlich über das Schnäppchen freuen.
Die gute Nachricht: Die Anzahl nachhaltig handelnder Menschen wächst stetig.Immer mehr Initiativen und Kampagnen widmen sich den Thema. Sie bieten z.B. Aufklärung oder Workshops zu Verhaltensänderungen an. Diese Arbeit ist wichtig und richtig, verfolgt in der Regel jedoch einen bildungs(-politischen) Anspruch – und führt dadurch zu den angesprochenen Berührungsängsten in weiten Teilen der Gesellschaft. Der versachlichten Nachhaltigkeit gehen Spass und Freude an einem rücksichtsvollen Umgang mit Mensch und Natur ab. Vielmehr ist sie anstrengend und langweilig. Dieses Phänomen lässt sich auch gut bei Kongressen oder offenen Veranstaltungen beobachten.
Abgesehen von einer steigenden Anzahl von Firmenvertretern, die Nachhaltigkeit für sich als aussichtsreichen Marketingtrend identifiziert haben, findet man dort die immer gleichen Akteure, die sich gegenseitig für ihre Errungenschaften auf die Schulter klopfen. Auf Podiumsdiskussionen wird gefragt, ob und wie noch mehr getan werden könnte. Die professionelle Szene fischt zu sehr im eigenen Teich. Sie ist noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ähnlich eines Events sind die VIPs bereits zum get together da. Der Schlüssel für den Zugang des breiten Publikums wurde aber noch nicht gefunden. Was also tun?
In der Privatwirtschaft gibt es einige gute Kampagnen die es geschafft haben, das Meinungsbild grundlegend zu ändern und in der Breitenwahrnehmung zu verankern. Sogar unter Einbezug nachhaltiger Aspekte. Ein gerne genommenes Beispiel ist die Fun Theory des Volkswagen Konzerns. Mit minimalen Anreizen werden unbewusste Passanten auf spielerischer Ebene zu einer Verhaltensänderung animiert². Als Resultat beobachtet man Menschen im Park auf der Suche nach Müll, nur um ihn in den Abfalleimer werfen zu können. In einem weiteren Szenario verwaist die Rolltreppe eines U-Bahn Ausgangs – da die Mehrzahl lieber Stufen geht. Was in diesem Fall den Imagewandel der Marke in Schweden zum Ziel hatte, dient als anschauliches Exempel, wo die Reise hingehen sollte.
Nun gibt es Studien die besagen, dass subtile Manipulation weniger Auswirkung auf eine langfristige Verhaltensänderung hat als die direkte Vermittlung von Lehr-inhalten. Doch stellt sich die Frage, ob Wissen wirklich den einzigen Antrieb bietet. Schließlich benötigt man auch kein technisches Know-How für die Funktionsweise eines Verbrennungsmotors, um Auto zu fahren. Gleichsam betreiben wir Sport nicht nur aufgrund der gesundheitlichen Vorzüge, sondern auch weil es uns ein gutes Gefühl gibt. Ist es also notwendig, dass jeder über alles Bescheid weiß? Oder reicht, zumindest im ersten Schritt, eine trivialere Motivation, die mit Spaß und Augenzwinkern positive Emotionen hervorruft? Und den Weg für eine erfolgreiche Verbreitung ebnet?
Hier fehlt es dem jungen Sektor an Durchschlagskraft. Die nachhaltige Landschaft besteht größtenteils aus Start-Ups und jungen Unternehmen, die noch zu sehr mit dem eigenen Geschäftsaufbau beschäftigt sind. Viele gründen aus nachhaltiger Überzeugung und investieren in die Qualität ihres Angebots. Es mangelt an den Etats, die Werbekampagnen abseits der direkten Vermarktung des eigenen Angebots ermöglichen. Breitenwirksame Spill Over Effekte³ bleiben aus. Die meisten kämpfen für sich und auch Interessensverbände stecken im Vergleich zu anderen Lobbygruppen noch in den Kinderschuhen. Hier bedarf es auch einer stärkeren Unterstützung durch die öffentliche Hand, neben bildungspolitischen Initiativen auch kreativere Ansätze zu fördern, die einem Wandel in der Wahrnehmung dienlich sind.
Es ist an der Zeit Hürden abzubauen und die Nachhaltigkeit aus der Ecke der wissenschafltichen Pflichtveranstaltung herauszuholen. Hierbei hilft nicht das Argumentieren mit Statistiken, sondern ein leidenschaftlicher, kreativer Umgang. Damit wir uns richtig verstehen: Ziel ist nicht die Veranstaltung eines großen Nachhaltigkeitsjahrmarkts. Wie bei der Annäherung an ein neues Hobby sollte aber ein spielerischer Umgang in überschaubaren, motivierenden Schritten möglich sein. So lässt sich eine aufgeschlossenere Grundhaltung schaffen, die Barrieren verringert und erste Berührungspunkte fern der sachlichen Betrachtung ermöglicht.
Wir sollten den Berg in kleine Hügel unterteilen, die weniger eine anspruchsvolle Herausforderung als vielmehr einen spannenden Ausflug verheißen. Dann kommen Interesse und Verhaltensänderung im Idealfall von alleine. Der Umwelt ist es schließlich egal, ob die Veränderung aus altruistischer oder selbstbezogener Natur resultiert. Das Ergebnis zählt.
² Die Fun Theory basiert auf der Methode des nudging, die vor allem durch das Buch “Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ von Nobelpreisträger Richard Thaler und Cass Sunstein Bekanntheit erlangt hat. Die Autoren beschreiben darin die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen auf vorhersagbare Weise zu beeinflussen, ohne dabei auf Verbote und Gebote zurückgreifen oder ökonomische Anreize setzen zu müssen.
³ Der Spillover-Effekt beschreibt die Auswirkung eines Zustands oder Ereignisses über seine direkte Umgebung hinaus. Er kann positive wie negative Ausprägung haben. Im Falle der Fun Theory wurde nicht nur das Image der Marke beeinflusst. Weitere Resultate waren zum Beispiel ein sauberer Park und (hoffentlich) ein Gedankenanstoß bei teilnehmenden wie betrachtenden Personen.